ÖPNV in Corona-Zeiten: Ein Kraftakt für eine gebeutelte Branche
Es ist nur wenige Monate her, da waren wir auf einem guten Weg hin zu einer Verkehrswende, die den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) stärker in den Fokus nimmt und Bus und Bahn mit unterschiedlichen Verkehrsträgern intermodal verknüpft. Dann kam die Corona-Pandemie, die sich auf unser aller Alltag auswirkt: auf unser Arbeiten und Lernen, unsere Freizeit und damit auch in besonderem Maße auf unsere Mobilität. Die Menschen sind heute immer noch deutlich weniger mit Bus und Bahn unterwegs als vor der Krise. Entsprechend hart trifft es die ganze Branche: Allein für das Jahr 2020 drohen dem ÖPNV in Nordrhein-Westfalen drastische Einnahmeverluste in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro. Nur mit finanzieller Hilfe des Bundes und eines Rettungsschirmes des Landes wird es vielen Branchenakteuren gelingen, die Krise zu überstehen.
ÖPNV leistet einen großen gesellschaftlichen Beitrag
Abstandsregeln, Zugangsbeschränkungen, besondere Anforderungen an die Hygiene, Homeoffice, Kurzarbeit, kein oder nur eingeschränkter Schul- und Universitätsbetrieb und die Absage von Großveranstaltungen sorgen dafür, dass weniger Menschen mobil sind. Dies wirkt sich auch Monate nach Beginn der Pandemie negativ auf die Fahrgastzahlen des Öffentlichen Personennahverkehrs aus. Trotz allem leistet der Nahverkehr in Deutschland seinen gesellschaftlichen Beitrag:
Zu keinem Zeitpunkt hat er den Verkehr gänzlich eingestellt oder Kurzarbeit beantragt. Während Unternehmen, ja ganze Wirtschaftszweige über Wochen Betrieb und Produktion einstellten, waren Busse und Bahnen trotzdem unterwegs, um die Menschen von A nach B zu bringen und vor allem den Arbeitnehmer*innen in systemrelevanten Berufen den Weg zur Arbeit zu ermöglichen. Als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge fahren sie frühmorgens bis spätabends oder nachts, sie bringen Menschen zur Arbeit, zur Schule, ins Grüne, zu Freund*innen, zur Familie und wieder nach Hause. Sie fahren in der Hauptverkehrszeit und auch dann, wenn die Nachfrage gering ist. So ermöglicht der ÖPNV allen Menschen in der Region gesellschaftliche Teilhabe.
Der Nahverkehr in Deutschland ist systemrelevant und auch in dieser Krise leistungsstark. Als Grundpfeiler der öffentlichen Daseinsvorsoge fühlt sich die Branche den Menschen verpflichtet, hat das Verkehrsangebot aufrechterhalten und ist bereits seit Monaten wieder bei 100 Prozent – und das bei wesentlich geringeren Fahrgastzahlen als vor der Corona-Pandemie. Entsprechend groß sind die finanziellen Einbußen bei den Verkehrsunternehmen und damit die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die gesamte Branche.
Bund und Land spannen Rettungsschirm
Bis zur Corona-Pandemie war das Nahverkehrssystem sehr erfolgreich. Die Branche in NRW verzeichnete über Jahre hinweg steigende Fahrgastzahlen. Im März, mit dem Beginn des Lockdowns, gingen vielerorts die Fahrgastzahlen um bis zu 90 Prozent zurück. Ab April erholte sich die Situation langsam, doch auch im August waren erst 60 Prozent aller Nahverkehrskund*innen zurück im System. Dem ÖPNV in Nordrhein-Westfalen drohen hohe Einnahmeverluste: Aktuelle Prognosen gehen allein für das Jahr 2020 von einem Verlust von einer Milliarde Euro aus.
Um die Liquidität der Verkehrsunternehmen zu erhöhen, wurden im Frühjahr bereits Fördermittel gemäß § 11 (2) und § 11a ÖPNVG NRW abweichend vom sonst üblichen Turnus ausgezahlt. Einen entsprechenden Erlass hatte das Land NRW bereits im März auf den Weg gebracht. So konnten bis Ende April rund 46 Prozent der Fördermittel an die Verkehrsunternehmen ausgezahlt werden, fast 53 Millionen Euro. Der Bund hat bereits einmalig bundesweit 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, um die fehlenden Einnahmen zumindest teilweise ausgleichen zu können. Davon stehen dem Land NRW 500 Millionen Euro zur Verfügung.
Darüber hinaus hatten sich die politischen Vertreter*innen aller nordrhein-westfälischen Aufgabenträger, die Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen in einer Resolution an Ministerpräsident Armin Laschet gewandt und um zusätzliche Landesmittel für den gesamten ÖSPV und SPNV in NRW gebeten. Im Juni hat das NRW-Landeskabinett beschlossen, zusätzliche 200 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt für den ÖPNV-Rettungsschirm bereitzustellen. Insgesamt stehen somit in Nordrhein-Westfalen 700 Millionen Euro für den ÖPNV bereit.
Die Misere der Branche ist groß
Dies alles zeigt deutlich, wie groß die Misere der Branche ist. Nicht nur im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr und NRW, sondern bundesweit. Ohne die staatlichen Hilfen wird es perspektivisch nicht möglich sein, den derzeitigen Leistungsumfang im ÖPNV aufrechtzuerhalten – geschweige denn das Angebot zu erweitern. Die Finanzierung muss nachhaltig gesichert sein, um das funktionierende und erfolgreiche Nahverkehrssystem dauerhaft bewahren zu können. Denn Bus und Bahn sind nicht einfach Beförderungsmittel, sondern ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und essenziell für eine nachhaltige Mobilität in einem der größten Ballungsräume Europas. Müssten Verkehrsleistungen im SPNV und im kommunalen ÖSPV reduziert werden, käme dies im Hinblick auf die dringend benötigte Verkehrswende einer „Rolle rückwärts“ gleich und ist nicht im Sinne der klima- und verkehrspolitischen Ziele aller Branchenakteure.
Zehntausende Menschen arbeiten allein in NRW für den Nahverkehr
Zumindest für den Verkehrsverbund Rhein- Ruhr gehen aktuelle Schätzungen davon aus, dass der Nahverkehr noch lange durch COVID-19 beeinträchtigt sein wird. Der von Bund und Land beschlossene Rettungsschirm zum Ausgleich der Einnahmeverluste bei den Verkehrsunternehmen wird voraussichtlich für das Jahr 2020 zum größten Teil ausreichen.
Sorge bereitet die Finanzierung für das kommende Jahr 2021. Weitere Bundesmittel und Förderkonzepte werden nötig sein, um die Folgen der Corona-Krise überwinden zu können und denen zu helfen, die von der Krise besonders hart getroffen sind: den Städten und Kreisen als Aufgabenträger für den ÖPNV, Verbundorganisationen, den finanziell unter Druck geratenen kommunalen Verkehrsunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen und allen, die unmittelbar oder mittelbar mit der Branche verbunden sind.
Allein in NRW arbeiten rund 50.000 Menschen für den Nahverkehr.
Das Vertrauen der Kund*innen zurückgewinnen
Eine Mammutaufgabe für die nächsten Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre wird es sein, das Vertrauen der Kund*innen zurückzugewinnen, um die Situation im Öffentlichen Personennahverkehr zu verbessern. Bislang gibt es keine Hinweise auf ein erhöhtes Infektionsrisiko im ÖPNV, wenn die Schutz- und Hygienekonzepte eingehalten werden. Bus und Bahn sind folglich auch in Zeiten einer Pandemie sichere und besonders klimafreundliche Verkehrsmittel. Die ÖPNV-Aufgabenträger engagieren sich gemeinsam nach Kräften, um diese Botschaft in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu verankern, und stellen sich auf die „neue“ Normalität nach Corona ein.
Wie gelingt es beispielsweise, die Hygiene in Bus und Bahn noch weiter zu verbessern? Wie gestalten wir den ÖPNV, damit Fahrgäste sich leichter an die Schutzmaßnahmen halten können?
Technologien zum bargeld- und kontaktlosen Bezahlen von Nahverkehrstickets, dynamische Echtzeitinformationen zur Auslastung öffentlicher Verkehrsmittel und ein kontinuierliches Monitoring der Verkehrsmittelwahl und des Mobilitätsverhaltens können hier einen wertvollen Beitrag leisten. Und natürlich brauchen wir auch zukünftig ein attraktives Verkehrsangebot und verlässliche Echtzeitinformationen. Als Mobilitätsdienstleister für die Region werden wir uns hierfür gemeinsam mit unseren Partnern in NRW nach Kräften einsetzen und hoffen weiterhin auf die finanzielle Unterstützung aus der Landes- und Bundespolitik, damit der Nahverkehr auch zukünftig eine zentrale Rolle für die nachhaltige Mobilität im Land spielen kann.
Ein "Dankeschön" für treue Kund*innen
Mit einer aufmerksamkeitsstarken Kampagne machte der VRR im Mai 2020 auf die besondere Situation im Öffentlichen Personennahverkehr unter Corona-Bedingungen aufmerksam und bedankte sich bei seinen Kund*innen und den Mitarbeiter*innen der Verkehrsunternehmen für ihre Treue und das Engagement in Krisenzeiten.
Ende Juni 2020 startete der VRR gemeinsam mit den benachbarten Verkehrsverbünden eine besondere Aktion für Ticket Abonnent*innen, die ihren Urlaub aufgrund der zu diesem Zeitpunkt noch geltenden Reisebeschränkungen in heimischen Gefilden verbringen wollten bzw. mussten: Sie konnten in den Sommerferien montags bis freitags das gesamte Verbundgebiet mit Bus und Bahn erkunden, denn dann galt das Aboticket nicht nur in der jeweils gewählten Preisstufe, sondern im gesamten VRR, rund um die Uhr, für beliebig viele Fahrten, Fahrrad inklusive. An den Ferienwochenenden durften die Abonnent*innen sogar NRW-weit fahren.