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18. Dezember 2025

„Mit mutigen und realistischen Maßnahmen den SPNV stabilisieren“ Georg Seifert, Abteilungsleiter SPNV beim VRR, zu den Erfahrungen aus dem Aktionsprogramm Personal und Betrieb

Kurzfristige Zugausfälle, fehlendes Personal und eine zunehmend instabile Betriebslage – der Schienenpersonennahverkehr in Nordrhein-Westfalen steht seit vielen Jahren unter erheblichem Druck. Mit dem gemeinsamen Aktionsprogramm Personal und Betrieb haben die nordrhein-westfälischen SPNV-Aufgabenträger reagiert: Ziel war es, den Betrieb zu stabilisieren, Personalentwicklung und Rekrutierung gezielt zu fördern und die Planbarkeit im Interesse der Fahrgäste gezielt zu verbessern. Zum Jahresende ziehen wir Bilanz: Welche Wirkung hatte das Programm für die Betriebsqualität des SPNV in Nordrhein-Westfalen? Wie hat sich die Rekrutierung und Ausbildung bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen entwickelt? Und wie lässt sich ein temporär reduziertes Angebot mit den langfristigen Zielen der Verkehrswende vereinbaren?

Im Gespräch mit Georg Seifert

Im Gespräch mit Georg Seifert, Leiter der Abteilung SPNV beim VRR, beleuchten wir die Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Aktionsprogramm. Und zwar immer vor dem Hintergrund unserer Verantwortung als Aufgabenträger, die Qualität des SPNV im Sinne der Fahrgäste aktiv mitzugestalten.

Interview mit Georg Seifert

Lieber Georg, wie sah die Betriebslage in nordrhein-westfälischen SPNV vor dem Start des Aktionsprogramms aus?

Der SPNV war im Jahr 2024 gekennzeichnet durch eine Vielzahl an Störungen und damit auch durch zahlreiche Abweichungen vom regulären Fahrplan. Rund die Hälfte aller Zugausfälle war personalbedingt. Sprich: Unsere Fahrgäste sind zum Bahnhof gekommen und haben dort erfahren, dass ihr Zug wegen eines kurzfristigen Personalausfalls nicht fahren wird. Für die Fahrgäste ist das ärgerlich. Ein paar Minuten Verspätung kann man vielleicht noch verschmerzen. Ausfälle wiegen ungleich schwerer, wenn dadurch Termine oder Anschlüsse zum Fernverkehr nicht eingehalten werden können.

Warum haben sich die nordrhein-westfälischen SPNV-Aufgabenträger entschieden, mit dem Aktionsprogramm in das Fahrplanangebot einzugreifen?

Der Grund ist so einfach wie richtig: Es geht darum, dass wir ehrlich sind, zu uns und vor allem zu unseren Fahrgästen. Ehrlich sein heißt in diesem Fall: Wie viel Personal haben wir derzeit in NRW und welches Fahrplanangebot können wir mit den vorhandenen Ressourcen gesichert und verlässlich für unsere Kundinnen und Kunden erbringen. Hierzu sind wir tief in die Personalzahlen der einzelnen Eisenbahnverkehrsunternehmen eingestiegen und haben uns angeschaut, welche Leistungen mit dem vorhandenen Personal umsetzbar sind. Es ging darum, mit mutigen und realistischen Maßnahmen den SPNV zu stabilisieren.

Haben sich die Eisenbahnverkehrsunternehmen hiermit schwergetan? Denn die Aufgabenträger haben damit ja in ihren Verantwortungsbereich, die Personalplanung, eingegriffen.

Nein, im Gegenteil: Der ganze Prozess lief im Interesse der Fahrgäste sehr kooperativ. Indem wir auf Basis der vorhandenen Personalressourcen gezielt Leistungen abbestellt haben, haben wir gleichzeitig bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen Luft geschaffen, um mit maximaler Kraft in Ausbildung und Rekrutierung zu investieren. Genau diese Kombination aus einem reduzierten Fahrplan und den hierdurch freiwerdenden Kapazitäten für die Personalgewinnung waren Grundlage des Aktionsprogramms.

War dieser Ansatz erfolgreich?

Absolut! Alle Leistungen, die wir im Rahmen des Aktionsprogramms zurückgenommen hatten, können seit dem Fahrplanwechsel am 14. Dezember 2025 wieder erbracht werden – und zwar zu 100 Prozent.

Und wie hat sich das Aktionsprogramm auf die personalbedingten Zugausfälle ausgewirkt?

Wenn wir das gesamte Jahr und alle EVU betrachten, dann kann man ohne Wenn und Aber sagen: Der Plan ist voll aufgegangen! Die Quote der personalbedingten Zugausfälle konnte bei unter einem Prozent stabilisiert werden. Das klingt abstrakt, unsere Fahrgäste, die täglich mit dem SPNV unterwegs sind, bemerken es aber an den Bahnhöfen. Ich selbst merke es als täglicher Bahnfahrer: Die Ansage „Der Zug fällt personalbedingt aus“ ist nur noch die Ausnahme und nicht mehr die Regel, wie es 2024 noch der Fall war.

Wie haben sich die Ausbildungszahlen und die Neueinstellungen bei den EVU entwickelt?

Im Jahr 2025 haben 600 Personen bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen, die am Aktionsprogramm teilgenommen haben, eine Ausbildung gestartet – eine noch nie dagewesene Zahl, die uns extrem freut. Wir drücken die Daumen, dass möglichst viele ihre Abschlussprüfungen erfolgreich absolvieren. Denn der Schienenverkehr als Daseinsvorsorge ist ein solides Arbeitsfeld, das keinen konjunkturellen Schwankungen unterliegt. Triebfahrzeugführende haben damit faktisch eine Jobgarantie – in der heutigen Zeit ein wahrer Glücksfall für die Beschäftigten.

Wie haben unsere Fahrgäste auf das Aktionsprogramm reagiert, und damit natürlich auch auf das reduzierte Fahrplanangebot im Jahr?

Wir sind nicht mit Lobeshymnen überschüttet worden, das ist keine Frage. Aber unsere Fahrgäste haben honoriert, dass es zu weniger personalbedingten Zugausfällen gekommen ist und der SPNV hierdurch insgesamt verlässlicher und planbarer geworden ist – zwei Qualitätsmerkmale, die sehr wichtig sind. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das SPNV-Gesamtsystem durch Baustellen und infrastrukturelle Probleme nach wie vor extrem unter Druck steht.

Können die Erfolge des Aktionsprogramms als Blaupause für ganz Deutschland dienen, um den Betrieb im Schienenpersonen­nahverkehr generell zu stabilisieren?

Das ist pauschal nicht leicht zu beantworten. Fest steht aber, dass Leistungsreduzierungen auch in anderen Bereichen, beispielsweise bei Störungen durch Baustellen oder infrastrukturellen Problemen, eine gute Option sein können. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Umleitungsverkehre zusätzlich zu regulären Verkehren auf einer Strecke unterwegs sind und dies zu einer maximalen Überlastung – kurz gesagt – zum Zug-Stau führt. Wenn wir dann priorisieren und gezielt Parallelverkehre herausnehmen, um einen flüssigen Betrieb zu ermöglichen, ist allen geholfen.

Wie gehen wir generell mit der Diskrepanz zwischen der Angebotsreduktion zur Fahrplanstabilisierung und der eigentlich notwendigen Ausweitung von SPNV-Leistungen für eine erfolgreiche Verkehrswende um?

Fazit

Die Erfahrungen aus dem Aktionsprogramm Personal und Betrieb zeigen, dass es auch in herausfordernden Zeiten möglich ist, mit mutigen und realistischen Maßnahmen den Betrieb im SPNV zu stabilisieren. Fahrgäste sind durchaus bereit, einen reduzierten Fahrplan zu akzeptieren, wenn hierdurch die Zuverlässigkeit des Gesamtangebotes verbessert werden kann. Gleichzeitig wird deutlich, dass ein zuverlässiger Betrieb nicht nur von der Personalstärke abhängt, sondern auch von einer Infrastruktur, die mitwächst und den hohen Anforderungen des SPNV gerecht wird. Das kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Entsprechend wichtig wird es deshalb auch in Zukunft sein, dass sich die SPNV-Akteure gemeinsam für einen verlässlichen Betrieb, die Fachkräfterekrutierung und Ausbildung sowie eine verlässliche Planung und Durchführung von Baumaßnahmen engagieren.

Von Wibke Hinz
PR- und Online-Redakteurin


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