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19. November 2020

Schienen für den Nahverkehr sichern

Wer hat Vorfahrt im Bahnverkehr? Diese Frage beschäftigt im Hinblick auf den Fahrplanwechsel am 13. Dezember derzeit die Anbieter von Fern- und Regionalzügen. Die Uneinigkeit der Streitparteien wird in einem sogenannten Trassenkonflikt ausgetragen. Doch was bedeutet dieser Konflikt und wo liegt das aktuelle Problem? Und welche Konsequenzen hat dieser für den Schienenpersonennahverkehr im Verbundgebiet des VRR?

Wie eine Streckenvergabe funktioniert

Im Gegensatz zum Autofahrer kann ein Lokführer nicht einfach spontan losfahren. Denn damit Sie als Fahrgast pünktlich von A nach B kommen, muss im Bahnverkehr jede einzelne Fahrt im Voraus geplant werden. Konkret bedeutet das: Für jede Fahrt und jede Linie wird ein Fahrplan erarbeitet, der als Jahresfahrplan angemeldet wird. Damit diese Fahrpläne dann nahtlos und ohne Verspätungen für den Fahrgast ineinander übergreifen, müssen alle Eisenbahnverkehrsunternehmen ihre Fahrbegehren bei der DB Netz AG anmelden, die die Schienenvergabe koordiniert.

 

Um all diese Faktoren bis zum Fahrplanwechsel am Tag „X“ unter einen Hut zu bekommen, brauchen die Fahrplaner einen vergleichsweisen langen Vorlauf, der auch immer wieder die Lösung von Trassenkonflikten beinhaltet.

Beispielhaft wird eine Fahrplanübersicht am Bahnhof gezeigt

Was ist ein Trassenkonflikt?

Im Eisenbahnwesen wird eine Bahnstrecke, auf denen Züge zwischen zwei Orten verkehren sollen als Trasse bezeichnet. Bei der Anmeldung bzw. Verteilung der Bahntrassen kommt es seit einigen Jahren immer wieder zu Konflikten. Diese entstehen, wenn mehrere Eisenbahnverkehrsunternehmen die vorhandene, teils sehr begrenzte Schienenkapazität eines Streckenabschnitts zur selben Zeit nutzen möchten. Vor allem zwischen dem Nah- und Fernverkehr kommt es häufiger zu kollidierenden Interessen.

Was passiert, wenn sich die Verkehrsunternehmen nicht einigen können?

Wenn sich ein Trassenkonflikt nicht auflösen lässt, wird ein reglementiertes Streitbeteiligungsverfahren eingeleitet. In diesem Fall werden als Kriterium die zu erzielenden Trassenentgelder herangezogen. Da Fernverkehrsverbindungen aufgrund ihrer Länge stehts eine höhere Summe zugeschrieben wird als den einzelnen, betroffenen Nahverkehrsverbindung, ist die Lösung des Konflikts für den SPNV stehts unzufriedenstellend. Zudem erlauben die vorgegebenen, knappen Fristen der DB Netz AG während des gesamten Konfliktverfahrens, keinen zielführenden Austausch mit den betroffenen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Nachbar-Aufgabenträgern des SPNV.

 

Darüber hinaus erhalten die im Konfliktverfahren Beteiligten keine Informationen darüber, wenn ein Fernverkehrsunternehmen die ihm zugeteilte Trasse im Betrieb doch nicht in Anspruch nimmt – oder erhalten kein Vorrangrecht, die nun wieder freigewordene Trasse zu nutzen. So ist es in der Vergangenheit bereits dazu gekommen, dass Fahrgäste im SPNV zu bestimmten Uhrzeiten auf ihre gewohnten Verbindungen verzichten mussten, obwohl die angekündigten Fahrten der Fernverkehrszüge gar nicht stattfanden.

Ein Zug von Abellio fährt über die Gleise

Welche Auswirkungen hat der aktuelle Konflikt für den Nahverkehr?

Für den Umgang mit Trassennutzungskonflikten haben die geltenden Vorschriften der DB Netz AG negative Folgen für den Schienenpersonennahverkehr: Wichtige und viel genutzte Pendlerverbindungen, die bisher stündlich fuhren, müssen abweichende Fahrtzeiten, Haltausfälle oder sogar vollständige Ausfälle in Kauf nehmen, weil Fernverkehrsverbindungen an einzelnen Tagen den Vorrang erhalten. Dies kann zudem auch Auswirkungen auf Linien haben, die zuvor gar nicht von dem Konflikt betroffen waren.

Die Resolutionen des NWL, NVR und VRR

Durch den langsam einsetzenden Wettbewerb im Fernverkehr verschärft sich derzeit die Situation, da die neuen Anbieter vor allem nachgefragte Verkehrsverbindungen in den Ballungsräumen bedienen wollen. Diese Streckenabschnitte sind in der Regel allerdings bereits hoch – oder sogar überlastet. Darüber hinaus laufen zum Jahresende 2020 die bestehenden Rahmenverträge ersatzlos aus, die bisher die Trassen und den damit verbundenen stabilen Taktfahrplan des Nahverkehrs gesichert haben. Nach Auffassung der DB Netz seien diese nämlich nicht konform mit dem EU-Recht und sollen künftig nicht mehr abgeschlossen werden können. Vorfahrt hat dann der Zug, der die längere Wegstrecke zurücklegt. Heißt: Fernzüge haben immer Priorität vor Regionalzügen.

 

Da die genannten Umstände eine nachhaltige Gefahr für den Erfolg des Nahverkehr haben und der Schutz der Taktverbindungen des SPNV zwingend erforderlich ist, damit die Verkehrswende gelingen kann, haben die nordrhein-westfälischen Aufgabenträger, der Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL). der Zweckverband Nahverkehr Rheinland (NVR) sowie der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr Resolutionen, d.h. Beschlüsse verabschiedet, mit denen die Öffentlichkeit auf den aktuellen Konflikt aufmerksam gemacht werden soll.

Fahrgäste, die eine Maske tragen, steigen am Bahnhof aus einem Zug aus

Der Inhalt der Resolutionen

Die Verbandsversammlungen von NWL und NVR als auch der Verwaltungsrat des VRR

  • üben scharfe Kritik am Verfahren der Vergabe der Bahntrassen. Verbesserungswürdig sei hierbei der Schutz integraler Taktfahrpläne des SPNV
  • nehmen befremdend zur Kenntnis, dass durch die ersatzlos auslaufenden Rahmenverträge eine Verschärfung der Situation in Form von zunehmenden Trassennutzungskonflikten eintritt
  • fordern von der DB Netz AG, den Vorrang des SPNV gegenüber Zügen, die nicht in einem Taktfahrplan verkehren, in seine Schienennetznutzungsbedingungen aufzunehmen und
  • bitten Bund und das Land NRW darum, den nötigen Infrastrukturausbau mit den SPNV-Aufgabenträgern schnellstmöglich voranzutreiben und den Stellenwert des SPNV gesetzlich abzusichern

Dem Inhalt der Resolutionen hat sich auch der Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Rheinland-Pfalz Nord angeschlossen.

Sina Dietz

Von Sina Dietz
PR-Volontärin


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